Habemus domum

Nachdem die Spannungskurve dieses Eintrags schon mit der Überschrift seinen Höhepunkt erreicht hat, nehme ich mir hier die Freiheit, von anderen Dinge zu reden.

Wir waren heute in einem Spielhaus, was eine schlechte Übersetzung ist, aber “Kleinkind-Jungmensch-Gebäude”, was wörtlich ist, ist schlechter. Die Dinger sind mir schon in Sapporo aufgefallen und wir nutzten sie ab und an, jetzt werden sie aber zu einem essentiellen Werkzeug unserer hiesigen Integration. Es handelt sich um von der Stadt angebotene Kinderzimmer. Ein kleines Haus, das meist eine Kinder-Bibliothek, einen kleinen Turnsaal und immer einen Raum mit einfachen Spielsachen (Blöcken, Puppenhäusern und Puppen, Schienen, Brettspielen usw.) beherbergt. In Sapporo waren wir bei einem, das auch ein Puppentheater dabei hatte. Sie sind täglich geöffnet, gratis nutzbar und die Kinder können dort eben gemeinsam spielen oder auch alleine, wie sie wollen. Es gibt oft auch ein Programm (Theater, Zirkus etc.) an dem man teilnehmen kann aber nicht muss. Darüberhinaus kann man die Kinder ab dem Volksschulalter auch anmelden und dann werden sie auch betreut, wenn man selbst nicht anwesend sein kann weil man beispielsweise arbeiten muss, aber das kostet dann ein bisschen was: zirka 30 Euro pro Monat.

Man kann nicht sagen, dass das Spielzeug gegendert ist. Unsere Erziehung war es sicherlich auch nicht.

Anmeldungen kommen jetzt wirklich ins Rollen: Wir haben einen Glasfaser-Internetvertrag (35 Euro), mein A1-iPhone wird entsperrt, und auch der Postbote hat seinen Weg zu uns gefunden um uns das Familienregister-Dokument zuzustellen.

Mit Leo müssen wir uns was überlegen. Der Junge mag kaum einen Schritt selber tun. Das ist zwar keine neue Entwicklung, jetzt aber habe ich aufgehört ihn zu tragen. Und nun gibt es jeden Tag bei jedem Weg ein Theater. Option 1: Wir müssen da durch. Aber ab August ist Ikumi, zumindest bis Schule und Kindergarten beginnen, allein damit und das ist schon sehr stressig. Option 2: Wir kaufen einen Buggy. Aber dann wird das Kind noch fauler. Option 3: Wir gehen nur noch soweit Leo uns lässt. Das hatten wir die Tage immer mal wieder, ist aber auch frustrierend. Option 4: Wir kaufen ein Fahrrad. Und weil wir das jetzt gerade anschauen … hey, gebrauchte elektrische Fahrräder (Hügel!) kosten um die 400 Euro? Not bad, Ms Woodpecker.

Und schließlich: Gestern erhielten wir die Zusage für die Wohnung. Wusstet ihr schon, weiß ich. Aber wie schön ist das? Wenn wir durch die Straßen Okamotos schlendern, dann mit dem Gefühl “das ist unsere Gegend”. Wir grüßen die Leute auch besonders freundlich, man weiß ja nicht. Wir freuen uns auf laue Sommerabende auf der Terrasse, der Wind am Bauch und ein geheimes Stück Schokolade in der Hand. Und vor allem ändert sich unser Lebensgefühl: Unser Tun hat jetzt eine Richtung. Wir sind nicht mehr auf der Suche, wir sind am Einrichten, mit Gewissheit und Vorfreude.

Statt Unterschriften Siegel: unser Mietvertrag.

Wir sind jetzt angekommen und das Leben hier kann losgehen. Hier ist:

〒658-0003 兵庫県神戸市東灘区本山北町5丁目20ー22

20-22, Motoyama Kitamachi 5-Chome
Higashi-Nada, Kobe
658-0003 Japan

Ein Nachsatz, weil es vielleicht interessant ist: Nicht nur sind die Adressen auf Japanisch “richtig” herum geordnet, nämlich vom Großen zum Kleinen, also dem Weg der Post folgend (sowie übrigens auch das Datum hier immer vom Jahr über das Monat zum Tag angegeben wird). Sie sind auch völlig anders gedacht: es gibt nämlich keine Straßennamen. Hier werden Bezirke (z.B. Higashi-Nada) in Unterbezirke (Motoyama Kitamachi) und die weiter in nummerierte Sprengel (5-Chome) eingeteilt, innerhalb derer dann Blöcke (20) und schließlich darin die Häuser (22) durchnummeriert werden. Das macht es immer interessant, wenn ich in einem amerikanischen/europäischen Formular gezwungen werde, einen Straßennamen und eine Hausnummer anzugeben.

Schwein muss man haben

Wir waren also am Amt – und haben nicht wirklich etwas weiter gebracht, weil ein Dokument fehlte, das wie Geburtsurkunde und Heiratsurkunde zusammen fungiert, also alle familiären Verhältnisse festhält. Dieses Dokument kann aber nur im “registrierten Heimatort” ausgestellt werden, der im Grunde unveränderlich und in unserem Fall Toyama – 4 Stunden mit dem Zug entfernt – ist. Glücklicherweise können das auch Familienmitglieder ausstellen lassen, also gingen Ikumis Eltern brav zum dortigen Amt und schickten uns per Eilpost das besagte Papier.

Sie schickten uns also das Papier – und wir haben es noch nicht wirklich erhalten, weil wir zu dem Zeitpunkt nicht zuhause waren. Kein Problem, die Postbotin hinterlässt ja einen Zettel im Briefkasten, oder? Ja, schon, nur ist der hier eine Postkarte, rückadressiert an das Postamt, mittels derer man bekanntgeben soll, ob man denn grundsätzlich an dieser Adresse anzutreffen sei. Nicht wann oder unter Angabe einer Telefonnummer, nein nein, nur ob. Und das schickt man dann, eh klar, per Post ans Postamt zurück. Woraufhin die Postbotin wohl irgendwann wieder vorbeikommt. … Es wird schon klappen, es gibt für alles ein System.

Einschub: Es gibt nichts, was so sehr „Japan“ schreit, wie ein Automat für Fischgerichte.

In der Zwischenzeit schauten wir uns ein paar weitere Wohnungen an und haben uns dann für die entschieden, die wir schon zu Anfang sahen. Nur haben wir jetzt das gute Gewissen, dass es wirklich die beste der verfügbaren Wohnungen ist. Wobei wir merkten, dass der Preis umgekehrt mit den Höhenmetern korreliert. Und zwar so: Mietwohnungen haben meist keine Garagenplätze – einen solchen braucht man aber, um in Japan überhaupt ein Auto anmelden zu können. Es gibt nämlich kein (gar kein!) öffentliches Parken. Wo also keine Garagenplätze sind, gilt: Je höher gelegen desto schweißtreibender der Aufstieg. Und da haben geübte Schafberger:innen dann einen Startvorteil.

Wir testeten das natürlich vor der Entscheidung aus. Und tatsächlich ist es nicht schlimm. 10 Gehminuten von der Bahnstation, die umgeben ist von lieben Cafés, Bäckereien wie dem “Roggen-Meyer” und natürlich einem soliden Supermarkt, 10 Gehminuten auch durch ruhige Straßen zur Volksschule und zum Kindergarten.

Wir haben uns also für die Wohnung beworben und die Vermieterin sagte schon mal zu. Was kann da noch schiefgehen? Naja … es gibt für alles ein System. Und in diesem Fall heißt das: eine Garantiefirma. So eine wird im Mietprozess immer eingeschaltet und die sind pingelig. Im Antragsformular gab ich Ikumis Telefonnummer als meine an. Ujujui, Fehler! Ich gab auch zum Namen von Ikumis Vater die Telefonnummer von Ikumis Mutter an. Ujujujujui, schwerer Fehler. Die haben uns echt getadelt, dass wir doch bitte die richtigen Telefonnummern nachreichen mögen. Also, solche Sachen können schiefgehen, wenn man in einem Land, in dem es für alles ein System gibt, das System nicht so ganz ernst nimmt.

Nun habe ich zwar eine Telefonnummer, aber noch kein Telefon. Weil mein österreichisches iPhone noch für A1 gesimlockt ist. Und natürlich habe ich den Prozess schon angestoßen, aber das sind halt wieder Wiener:innen, die mich – man möchte auch hier ein System unterstellen – im Kreis schicken. Und so hängt es jetzt von A1 in Wien ab, wann (und ob?) wir in Kobe zu unserer Wohnung kommen. … Was soll schon schiefgehen?

Was geschah noch?

Eine Bergfahrt auf die Hügel hinter Kobe, mit Seilbahn und Gondelbahn; ein Besuch auf einem Schauhof mit Kühen und Schafen, wo ich zum ersten Mal eine wirklich liebe Kuh sah, ein Kälbchen zwar, aber wirklich lieb, und vermutlich auch sehr lecker; ein Besuch im Haus des Meeres, wo sie versuchen alles ein bisschen mit Kunstinstallationen spannender zu machen, was teilweise gelingt (die Aquarien als Planeten oder der Koi-Teich mit Lichtinstallation), teilweise nur deshalb funktioniert, weil die Tiere halt an sich interessant sind (so die im Museum frei herum “laufenden” Riesenschildkröten samt diese immer begleitenden Bewacher:innen); ein Hallo bei meinen zukünftigen Arbeitskolleg:innen mit Führung über den riesigen und verwirrend angelegten Campus; und Wildschweine: in offenen Kanälen, auf Seilbahnschienen und sogar als Unimaskottchen sind sie in der Stadt allgegenwärtig.

Eine Episode noch. Als unsere Umzugssachen aus Sapporo in Wien ankamen, waren in den Kisten auch ein paar getrocknete Blätter, die der Wind durch die Wohnung (in Sapporo) in die Kisten geweht hatte und die wir uns als physisches Andenken an die Zeit aufhoben. Wir hatten sie in einem gläsernen Bilderrahmen, der nun auch wieder nach Kobe mitmusste. Wir stellten ihn im Hotelzimmer auf und bemerkten, dass Glas und Blätter zwar noch völlig intakt waren, der dünne Metallrahmen aber an einer Stelle gebrochen war. Nicht so schlimm. Beim Umzug ins Dreiwochenapartment (ach so, ja: nicht das, das wir gebucht hatten, das ist immer noch kaputt, sondern in ein anderes, größeres und besser gelegenes, wo wir jetzt auch bleiben können) vergaßen wir den Rahmen aber im Hotelzimmer. Auch nicht so schlimm, wir bemerkten es rasch, gingen zum Hotel und bekamen es auch wieder – mit stillschweigend gelötetem Rahmen! Auch wenn ich nur vermuten kann, dass die Putzleute befürchteten, sie hätten den Rahmen beim Einsammeln gebrochen, wo gibt es denn so etwas?

Aber das ist Japan. Nach 5 Tagen speziell in Kobe meine ich, hier ist man nicht so warmherzig wie in Sapporo. Die Leute sind pingeliger und vielleicht einen Tick desinteressierter. Dafür ist die Stadt urbaner und hat offensichtlich mehr (zumindest: Offensichtliches) zu bieten, von den Nachbarstädten Osaka und Kyoto nicht zu sprechen. Jetzt freue ich mich aber auf nächste Woche, wo ab Dienstag mein Touristenleben aufhört und das Arbeitsleben anfängt.

Be Kobe

Und ich dachte, ich hätte kein Jetlag. Jetzt sitze ich um Mitternacht im Bett und fange an, einen Reiseblog zu schreiben. So sei es.

Wir leben also jetzt in Kobe. Erster Eindruck: heiß. Ernsthaft, täglich 31°C bei hoher Luftfeuchtigkeit ist kein Bemmerl. Die Folge daraus: überall Klimaanlagen. Die Folge daraus: Man weiß nicht, ob man sich warm oder kalt anziehen soll. Noch eine Folge: Die atmosphärische Atemnot hat einen Kipppunkt getriggert, dass das anscheinend noch im Juni übliche, flächendeckende, generelle, auf gegenseitigem Respekt begründete Maskentragen nun plötzlich aufgehört hat.

Das Wetter in Kobe macht jede Wettervorhersager:in arbeitslos.

So erklärt das mein künftiger Chef, den ich heute treffen durfte. Neisser Typ, also gute Aussichten für die Arbeit ab August.

Apropos Aussichten: Auch eine erste Wohnung besichtigten wir heute, im etwas abseits gelegenen Okamoto. Ein geräumiges, etwas in die Jahre gekommenes Haus mit zwei Etagen, gerade richtig vielen Zimmern und einer großen Terrasse mit herrlichem Panorama- und Meerblick. Eine angesehene Volksschule in weniger als 10 Gehminuten Entfernung, viel Grün, Ruhe und – ganz wichtig für eine bestimmte Klientel – ein Bahnübergang mit Schranken. Eigentlich steht einer Miete nur noch im Weg, dass wir halt noch keine anderen Wohnungen gesehen haben.

Außerdem noch am ersten Tag: Eine japanische SIM-Karte (aber ein doch noch SIM-gesperrtes österreichisches Telefon…), eine gemütliche Hafenpromenade mit vielen tutenden Booten, einem Riesenrad, einem glücklicherweise-weil-es-mich-nervte-dass-absolut-jedes-Bild-der-Stadt-in-der-Bildersuche-immer-nur-dies-zeigte-und-ich-es-nicht-wahrhaben-wollte-dass-die-Stadt-nichts-anderes-zu-bieten-hat-was-ja-auch-tatsächlich-so-ist eingerüsteten Wahrzeichen-Turm und einem Museum das sowohl das Haus des Meeres (blubb) als auch die Geschichte der Firma Kawasaki (brumm) beherbergt, sowie der Besuch im angeblich ältesten (first-and-finest) Kaffeehaus Japans, gelegen in einer typischen überdachten Fußgängerzone, voller lieber Geschäfte wo wir bitte unbedingt wieder hinkommen müssen um Geschirr, Kleider und Kuscheltiere zu kaufen.

Ach so, und der Wahlspruch der Stadt ist anscheinend “Be Kobe”. Zumindest sagt das eine riesige Steinskulptur aus diesen Buchstaben am Hafen. Interessant, weil keine Ich- sondern eine Du-Botschaft. Wirkt. Und so bildet sich vor der Skulptur eine Schlange aus Leuten, die sich mit dem Schriftzug abbilden lassen wollen – was noch nicht heißt, dass die das alle toll finden; denn ich vermute, die Leute stehen einfach darauf, auf übergroßen Schriftzügen mit dem Stadtnamen zu stehen, und man könnte in Wahrheit alles Mögliche da hinschreiben und die Leute würden sich trotzdem damit fotografieren. Bitte um Vorschläge in den Kommentaren.

Am Hafen von Kobe.

Und gestern fuhren wir mit einem Flughafenbus quer durch das die gesamte Bucht säumende Hafengebiet und was sahen meine müden Augen inmitten hundert Wasser in der Abendsonne glänzen? Eine Klärschlammanlage!

Aussicht auf morgen: Umzug in unser 3-Wochen-Apartment (ach so, ja: Bei Ankunft Nachricht vom Vermieter: kein Warmwasser, aber er stellt uns bis die Reparatur erfolgt ist ein Hotelzimmer im Stadtzentrum zur Verfügung. Japanisches Kundenservice. Passt uns gut, da wir uns somit nicht gleich nach der Ankunft um essentielle Pflegeprodukte kümmern müssen.) und dann Meldung im Bezirksamt.