Japanische Zimmer

Noch ist alles halbwegs friedlich. Wenn ich aus dem Fenster sehe, dann schaukeln die Baumwipfel im Wind. Ja, endlich Wind! Weiter hinten blitzt die Ost-Kobe-Brücke ihre Gegenwart in den Abendhimmel. Links dann die Bucht von Osaka, in der Schiffen ankern. Aber nicht die üblichen drei, sondern eines neben dem anderen: Denn vom Meer zieht ein Taifun heran, der genau bei Kobe auf Land trifft. Noch ist alles friedlich.

Noch zwei Tage Obon-Ferien. Und weil man nicht ins Meer gehen soll, plantschen die Kinder viel in der Badewanne. Eine japanische Badewanne ist ja auch lustig: ein großzügiger Nassraum, Gelegenheit zum Sitzen und Stehen und darin eingelassen eine kleine Badewanne, gerade groß genug für einen Erwachsenen zum Hockerln. Perfekt also für Kinder.

Und die haben sich das heute verdient, denn wir gingen zum nahen Hokura-Schrein und dann weiter den Bergpfad hinauf und immer weiter hinauf bis wir zu einer Aussichtsplattform kamen. Und Leo, der ja sonst so Gehfaule, beschwerte sich nicht mit einem Wort. Er stapfte Stufe um Stufe, freute sich am Gesang der Zikaden und an den von den Ameisen abgeführten Regenwürmern.

Egal wie groß die Stufe, Leo stapfte.

Sonst fahren wir nun immer mit Tigerente herum, das heißt, mit dem gelb-schwarz-gestreiften Trunki. Da sitzt Leo drauf und lässt sich durch die Welt ziehen. Dabei ist so ein Trunki ja eigentlich für spiegelglatte Flughafenböden konzipiert und hat dementsprechend eine Bodenfreiheit von einem Kieselstein. Das bringt Gefahren mit sich, denn auf der Straße gibt es Bodenwellen, Spalten, Kanaldeckel und viele andere Dinge, an denen das Trunki hängenbleiben und in der Folge den Reiter abwerfen kann. Aber wir haben gelernt: die erwachsenen Zieher:innen wie man Gefahren erkennt, meidet und bannt; und Leo der Jungritter wie man mitsteuert und nötigenfalls die Zugtiere vor Gefahren warnt. Wir sind in der ganzen Nachbarschaft eine Attraktion von Traktion.

Vorgestern waren in endlich mal in Osaka. Einfach die Eisenbahn mal in die andere Richtung genommen, wir leben ja ziemlich genau auf einem Drittel des Weges von Kobe zur größeren Hälfte der verschmolzenen Stadt. Wir könnten also eigentlich voll aus Osaka schöpfen als wäre das unsere Stadt, aber das will nicht so ganz in die Köpfe. Und die Grenze existiert wirklich nur in Köpfen und auf Karten.

Wir gingen also nach Osaka, dort in einen Indoor-Spielplatz, der von Hundertwasser gestaltet wurde. So viele Räume, so viele verschränkte Wege und Ebenen und das ganze auf eigentlich kleinem Platz. Ein bisserl wie der Türkenschanzpark, ein Meisterstück von Wegelage mit höchstmöglicher Dichte ohne wie ein Spazierparkplatz zu wirken, voll geplant und trotzdem natürlich oder zumindest menschlich.

Und dann aßen wir dort selbstverständlich auch Takoyaki (die berühmten Teigbällchen mit je einem Tintenfischstückerl in der Mitte) und das selbstverständlich am Dotonbori (dem berühmten Kanal durch Osaka), also ein bisserl Tourismus. Und dabei dachten wir uns, wie laut und schmutzig hier doch alles sei, so wie auch im Zentrum Kobes (Sannomiya) oder in Leicester Square. Und das ist gruselig, weil ich doch eigentlich immer die Städte mochte, also die niemals ruhigen Zentren, die Lichter, die Gerüche, die Klänge. Jetzt aber freue ich mich aus dem Lärm herauszukommen und in mein ruhiges Eck am Hügel Okamotos zurückzukehren. Bin ich alt geworden? Oder ist es, dass es einen Unterschied macht, ob man diese Orte als Tourist:in besucht oder als Bewohner:in? Als erstere:r ist man ja losgelöster. Man muss dort nicht zur Ruhe kommen, man hat ja seinen Ruhepol woanders. Oder ist es irgendwie beides und ganz banal (und am enttäuschendsten): ich habe mich zu sehr an den Schafberg gewöhnt?

Noch ein paar Gedanken zu der Wohnung hier, die wir ja einrichten. Das sind die beiden japanischen Räume im Untergeschoß, die nun vielleicht doch nicht Kinderzimmer 1 und 2 werden. Denn japanische Zimmer haben, im Gegensatz zur westlichen Tradition, keine Bestimmung. Sie werden nach Bedarf genutzt und dementsprechend sind sie grundsätzlich leer. Wenn man schreiben will, holt man sich einen kleinen Tisch, will man schlafen holt man sich eine Matratze, usw. Ich mag das. Das ist nicht nur schön, sondern auch gesünder, so wie wir den Planeten benutzen sollten: Wir finden ihn vor, leben darauf ein bisschen so wie wir es brauchen, und hinterlassen ihn nachher wieder im neutralen Ursprungszustand. Vielleicht schmücken wir ihn mit einem Gedicht an der Wand. Nur dass wir auch einen Raum No. 2 haben, sollte der erste mal belegt sein, zum Beispiel wenn eine:r arbeiten und wer anderer spielen will. Kann ja sein.

In dem verwinkelten Halbregal ist Platz für Ikebana.

Interessant ist auch das Kotatsu, ein von unten gewärmter und mit einer Decke umhangener Tisch. Traditionell ist das die einzige warme Stelle im Haus: In Europa macht man es warm, wo man ist; in Japan ist man, wo es warm ist. Auch das irgendwie gesünder, mag mir vorkommen. Nur dass eine Heizung wirklich das letzte ist, was wir hier brauchen. Aber wir haben ja Klimaanlagen, nämlich derer drei. Aber, brave Japaner:innen die wir sind, kühlen wir nur ein Zimmer (nämlich das Küchenesszimmer) und verbringen hier die meiste Zeit.

Nur spätabends, wenn die Kinder unten schlafen und wir oben arbeiten, da werden dann zwei Zimmer gekühlt. Und damit das jetzt ein Ende hat, verabschiede ich mich für heute.

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